Donnerstag, 17. März 2022Liebe Leserinnen und Leser, hier auf murtalinfo.at schreibt die Fohnsdorfer Poesiepädagogin Birgit Krenn über berufliche Gemeinsamkeiten mit Hebammen, über Schreibmythen und Ermutigung und wie das Vertrauen zum Schreiben auch durch ein umgedrehtes Kuvert als poetischer Moment in den Alltag kommt.
Poesiepädagogik – wie Texte in die Welt kommen
Mein Vater war ein Geschichtenerzähler und vielleicht ein Cineast. Meine Mutter erinnert sich an die entferntesten Verwandtschaftsverzweigungen und zwar sowohl in ihrer als auch in der Familie meines Vaters. Für mich ist sie die Hüterin unserer Familiengeschichte. Sie ist sehr genau mit ihren Erinnerungen. Künstlerische Freiheiten werden da nicht gern gesehen. Das sind die Pole, zwischen denen ich aufgewachsen bin und zwischen denen ich mich immer noch bewege. In einer Mischung aus Biografie und Fiktion. Ich erzähle Geschichten und ich helfe anderen dabei, ihre Geschichten zu erzählen. Die „wahren“ und die „erfundenen“. Ich bin Schriftstellerin und Poesiepädagogin.
Mein Beruf ähnelt dem einer Sporttrainierin oder Musiklehrerin und ein bisschen dem einer Hebamme. Als Poesiepädagogin gebe ich Wissen weiter. In Workshops, in Schreibgruppen, bei Schreibtreffs oder online im persönlichen Coaching. Wissen um bestimmte Regeln oder Techniken, vor allen Dingen aber mein Wissen um kreative Prozesse. Sätze, die ich oft höre: Wo kommen die Geschichten her? Wie komme ich zu guten Ideen? Wie kann ich die Geschichte so erzählen, dass sie jemand lesen will? Wie schaffe ich es, die Gedanken so aufs Papier zu bringen, wie ich sie gemeint habe? Wenn ich sie lese, kommen sie mir sehr banal vor.
Ich kenne die Verhinderungsmechanismen, die sich einschleichen und wie man mit ihnen umgeht, wie z. B. die berühmte, aber unnötige Angst vor dem leeren Blatt, die Selbstzweifel und Unsicherheiten, die Mythen und falschen Vorstellungen, die sich ums Schreiben ranken. Es gibt nur eine Art, das Schreiben zu lernen. Man muss sich hinsetzen und es tun (und lesen). Es gibt nur eine Art, seine Themen zu finden. Man muss sich auf die Suche begeben, und zwar schreibend.
Die Frage, die ich immer wieder höre: Ist mein Schreiben gut genug? – Gut genug wofür? Schreiben ist etwas sehr Persönliches. Gleichzeitig haben wir alle schon die Erfahrung gemacht, von den Worten anderer berührt worden zu sein. Wir lieben persönliche Geschichten! Wir können uns in den Erfahrungen und Betrachtungen der anderen wiederfinden, zuweilen sogar Neues entdecken, das uns selbst weiterbringt. Als Poesiepädagogin sehe ich es auch als meine Aufgabe, zu ermutigen, zu unterstützen und Vertrauen in die eigene Wahrnehmung zu vermitteln. Und das Vertrauen, dass das eigene Leben wertvoll genug ist. Durch die jahrzehntelange Erfahrung kann ich darauf vertrauen, dass mir immer etwas einfallen wird. Ich erlebe dieselben Prozesse wie jemand, der mit dem Schreiben beginnt. Ich gehe nur anders damit um. Meine Banalität und meine Blanks, mein Unsinn, schrecken mich nicht. Ich schreibe weiter, bis ich an dem Punkt ankomme, an dem ich spüre, dass es gut ist. Man nennt es auch in den Flow kommen.
Schreiben kann auf vielen Ebenen und aus vielen Gründen geschehen. Schreiben, das ist eine flüchtige Notiz auf einem umgedrehten Kuvert, ein Tagebucheintrag, ein Satz, der mir nicht mehr aus dem Kopf geht, eine Empfindung, für die ich die richtigen Worte finden will, ein Brief, in dem ich mein Herz ausschütte, eine SMS, ein Haiku, eine Ballade, eine Kurzgeschichte, eine Erzählung, ein Roman ...
Unterschiedliche Schreibbedürfnisse und Schreiberfahrungen brauchen unterschiedliche Herangehensweisen und unterschiedliches Werkzeug, um zur Entfaltung zu kommen. Alle brauchen sie die Erlaubnis, passieren zu dürfen, ernst genommen zu werden. Nicht zu ernst, nur so ernst, dass sie gut sein können – frei und doch behütet. Schreiben ist nicht reine Willkür. Wie in jeder Kunst und in jedem Handwerk gibt es Regeln und Fertigkeiten, die man kennen muss und üben kann. Innerhalb dieser Regeln ist man vogelfrei. Kennt man die Regeln, kann man sie kunstvoll brechen.
Mehr noch als die Geschichten selbst liebe ich die Arten, wie sie erzählt werden. Ein und dasselbe Thema kann in so vielen Arten und Variationen erzählt werden, wie es unterschiedliche Teilnehmende gibt. Sie unterscheiden sich im Erzählton, in der Sprachfärbung, in der gewählten Perspektive …
Es gibt auch die Bezeichnung „Schreibpädagog*in“, aber mir kommt die „Poesiepädagogin“ schon richtig vor. Der poetische Moment kann immer und überall passieren und ist nicht an das konkrete Aufschreiben gebunden. Ich bin mir sicher, dass viele wunderbare Formulierungen und Betrachtungen nur im Kopf passiert sind und in die Welt geatmet wurden. Nur weil sie nicht gehört oder gelesen wurden, macht sie das nicht weniger wertvoll. Gerade, wenn ich mit Kindern arbeite, dann passiert viel an sprachlicher Magie ganz „nebenbei“. Sie passiert vor, neben und zwischen dem Schreiben. Im Spiel, im Plaudern, im Sich-darüber-Gedanken-Machen. Sie wird nicht hergestellt, sie passiert. Die Kunst besteht darin, sie zu erkennen.
„Poesie tritt oft durch das Fenster der Unwesentlichkeit ein.“ M. C. Richards
Birgit Krenn unterstützt und motiviert Schreibfreudige mit ihrem Unternehmen „Erlebnis Sprache“.
Seit 2008 gibt sie Kurse für Kreatives Schreiben und individuelles Schreibcoaching im Oberen Murtal und in Graz, aktuell auch online.
Kontakt: birgit.krenn@erlebnissprache.at oder www.erlebnissprache.at
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